Gegen das Deportationsregime
Aktionen und Veranstaltungen in Nürnberg ?gegen die rassistische Politik des deutschen Staates und der EU
Von sogenannten „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird staatlicherseits verlangt, sich zu integrieren. Die Kuriosität dieser populistischen Forderung, die sich die allgegenwärtige Angst vor „Fremden“ zu Nutze macht, wird allein schon dadurch deutlich, dass sie nur von den zu Integrierenden verlangt wird. Für diejenigen, die dennoch bereit sind, z.B. Flüchtlinge herzlich aufzunehmen und mit ihnen solidarisch zu leben, beginnt meist ein zäher Kampf gegen die bürokratischen, herzlosen Mühlen des Deportationsregimes.
So wie im Fall des 19-jährigen Abdi M. Aus Somalia. Für sein Bleiberecht – und natürlich im Allgemeinen das aller Flüchtlinge in Deutschland – wurde am Samstag, den 12. Mai am Nürnberger Flughafen demonstriert. Aufgerufen hatte die Flüchtlingsorganisation Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen und der Verein Mimikri, der sich vor allem um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Abdi kümmert. Etwa 40 Menschen, davon etwa die Hälfte selbst Flüchtlinge, kritisierten lautstark die Abschiebepolitik der deutschen Behörden und forderten die Aussetzung der Abschiebung von Abdi M.. Die Kundgebung fand in der Haupthalle des Flughafens statt und konnte von den anwesenden Reisenden kaum übersehen oder überhört werden. Viele lauschten dann auch den Redebeiträgen: Zum Beispiel dem von Dagmar G., dem Vormund Abdi Ms., die aus einem Brief des Jugendlichen vorlas. „Das Leben ist scheiße. Ich kann das nicht mehr aushalten.“ schrieb Abdi, der als schwer suizidgefährdet gilt. Im Februar 2008 musste Abdi sein Heimatland Somalia verlassen, weil er dort von einer islamistischen Rebellenorganisation gegen seinen Willen rekrutiert werden sollte. Die Flucht führte ihn unter anderem auch durch Libyen, wo er als damals 15jähriger mehrere Monate im Gefängnis zwischen Erwachsenen und unter unzumutbaren Verhältnissen verbringen musste. Ende Dezember 2008 schaffte er endlich Europa zu erreichen und reiste nach Italien ein. Doch auch hier waren die Lebensverhältnisse nicht tragbar. Deshalb flüchtete er weiter nach Deutschland, wo er Ende Juli 2010 Asyl beantragte. Obwohl sich die traumatischen Erlebnisse der Flucht stark auf die psychische Gesundheit von Abdi M. auswirkten, besuchte er eineinhalb Jahre die Vollzeitberufsschule in Nürnberg, die speziell für Flüchtlinge zum Spracherwerb und zum Erwerb eines Schulabschlusses eingeführt wurde. Schnell erlernte er die deutsche Sprache und wurde ein hochmotivierter Schüler, der im Juni an den Abschlussprüfungen zur Erreichung des Qualifizierenden Hauptschulabschlusses teilnehmen wollte. Doch stattdessen wurde er in Abschiebehaft genommen. Die Kundgebung am Nürnberger Flughafen sollte kurz vor der drohenden Abschiebung noch einmal Öffentlichkeit für Abdi herstellen, konnte aber leider die Abschiebung nicht verhindern. Beinahe in letzter Sekunde fand das rassistische Abschiebesystem genug Helfershelfer um die Abschiebung durchzuziehen. Um Abdi abschieben zu können, brauchte es nämlich nicht nur einen Piloten, der ihn bereitwillig mit dem Flugzeug befördert und Schergen des Staates, die ihn mit Gewalt in den Passagierstuhl pressen, sondern auch eine Ärztin, die ihn auf der Abschiebung „begleitet“, da er ja als Suizidgefährdet gilt. Leider fanden sich für all diese schmutzigen Aufgaben skrupellose Mittäter.
Schlechte Bedingungen in Italien
Abdi wurde nach Italien abgeschoben, wo ihn keineswegs eine lebenswerte Perspektive erwartet. Nach dem sogenannten Dublin-II-Abkommen können europäische Staaten Flüchtlinge in den EU-Staat abschieben, in dem sie erstmals europäischen Boden berührt haben. Während die Zahl der Abschiebungen in den letzten Jahren gesunken ist, nehmen die sogenannten Überstellungen in andere EU-Länder stark zu. In Italien, wohin am meisten Menschen wegen Dublin-II aus Deutschland deportiert werden, gibt es keine nennenswerte Versorgung für Flüchtlinge. AsylbewerberInnen sind dort stark von Obdachlosigkeit betroffen und häufig aufs Betteln angewiesen. Die unter Flüchtlingen in Italien in der Regel bestehende Wohnungslosigkeit führt dazu, dass sich Asylverfahren enorm in die Länge ziehen, da zur Abgabe eines Asylantrags in Italien eine feste Wohnadresse vorhanden sein muss. Außerdem wird Flüchtlingen ohne Wohnung auch der Zugang zum Gesundheitssystem verweigert.
Ähnlich schlechte Zustände erwarten Flüchtlinge auch in anderen EU-Staaten. Malta und Griechenland sind ebenfalls dafür berüchtigt, unter welch schrecklichen Bedingungen dort Flüchtlinge leben müssen. Nach Griechenland wurden jedoch die Abschiebungen zur Zeit wegen der aktuellen Entwicklungen in dem Mittelmeerland eingestellt.
Der engagierten politischen Arbeit vieler antirassistischer AktivistInnen und Gruppen ist es zu verdanken, dass die Abschiebepraxis nicht still und heimlich vonstatten gehen kann. In den letzten Jahren gab es wieder eine Zunahme an Aktionen gegen Abschiebungen und Bleiberecht. Im Zusammenwirken mit der Nutzung rechtlicher Möglichkeiten zeitigte die Herstellung von Öffentlichkeit in vielen Fällen gute Ergebnisse. Von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge konnten häufig vor der Abschiebung bewahrt und konkrete Verbesserungen bei der Flüchtlingsunterbringung erreicht werden. Auch der eine oder andere besonders menschenfeindliche Bürokrat wurde erfolgreich angegangen und versetzt.
Um das Deportationsregime jedoch endgültig zu zerschlagen, braucht es natürlich ein Ende der Grenzen und vor allem ein Ende der kapitalistischen Verwertung von Menschen. Bis dahin bleibt jedoch die Forderung nach „Bleiberecht für alle“ ein recht erfolgversprechendes Konzept. Die menschenverachtende Praxis des Staates, Menschen aus ihrem Alltag zu reißen und in eine ungewisse, oft erbärmliche Zukunft abzuschieben, muss unablässig skandalisiert und die politischen und wirtschaftlichen Ursachen für Flucht und Migration benannt werden.
Erschienen in barricada – Juni 2012