Europa: Die Krise und der Widestand

In Deutschland könnten die Meldungen scheinbar widersprüchlicher nicht sein. Während von einer Erholung der Konjunktur die Rede ist, die offiziellen Arbeitslosenzahlen sinken, die Krankenkassen, sowie andere Unternehmen Rekordgewinne verzeichnen, reißen die Meldungen über Kürzungen, Entlassungen und Ausbau des Niedriglohnsektors nicht ab. Doch der scheinbare Widerspruch zeigt nur einmal mehr, dass dieser Widerspruch einer der Klassen ist. Die Lohnabhängigen sind in allen möglichen Ländern nach wie vor damit konfrontiert diese Krise, ebenso wie jede andere zuvor, zusätzlich zum kapitalistischen Normalbetrieb auszubaden. Lufthansa zum Beispiel hat sich trotz roter Zahlen einen neuen Luxus-Jumbo rausgelassen und moniert nun, dass der Sprit zu teuer sei und sie deswegen Leute entlassen müssten. Kein Wunder: alle Unternehmen senken konsequent die Kosten am Faktor Arbeitskraft um die Gewinnspanne zu erhöhen. Die Möglichkeiten hierfür sind auch in Deutschland gestiegen: Leiharbeit, Zeitarbeit, befristete Verträge und Niedriglohn bestimmen ganze Branchen.
Der Niedriglohnanteil ist in Deutschland auf 22% gegenüber sogenannten Normalarbeitsverhältnissen angestiegen. Einen höheren Anteil erreicht dann nur noch die USA mit 25%. Eine Entwicklung, die in den letzten Jahren geboomt hat und gegen die es hierzulande sehr wenig öffentlichen Protest gab.
Doch eben solche Arbeitsbedingungen, gepaart mit der sozialpartnerschaftlichen Demut der Gewerkschaften hier in Deutschland, ermöglichten die niedrigen Lohnstückkosten, die Griechenland, Spanien und andere KonkurrentInnen auf kurz oder lang in die Knie zwingen mussten. Keines der anderen EU-Länder verfügt über die Möglichkeit, industrielle Massenproduktion vor allem im Technologiebereich so billig zu gestalten wie Deutschland. Diesen Hebel nutzt die herrschende Klasse nun politisch wie ökonomisch. Über die Länder wird ein Spardiktat verhängt, das mit dem der ehemaligen Kolonien vergleichbar ist. IWF, EZB und Europäische Kommission treiben die ArbeiterInnenklasse der jeweiligen Länder in den Ruin. Die Ökonomie soll ebenso wie die Politik dem deutschen Modell von Lohndumping, Sozialeinsparungen, Privatisierungen und Sozialpartnerschaft angeglichen werden. Oder mit den Worten von Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und enger Vertrauter der Kanzlerin: “Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen.???

Griechenland in Händen ?des deutschen Imperialismus

Wer von den Privatisierungen griechischer Staatskonzerne profitiert, dürfte somit auch außer Frage stehen. Mit Milliarden-Investitionen kaufen deutsche Unternehmen griechische Staatsbetriebe auf oder erwerben Anteile daran. Bis 2015 will Athen unter dem Druck aus Brüssel für 50 Milliarden Euro staatliche Unternehmen verkaufen und Liegenschaften verpachten.

Auf der Einkaufsliste des deutschen Kapitals:

Die Deutsche Telekom übernimmt weitere zehn Prozent von Hellenic Telekom (OTE), womit ihre bisherigen Anteile auf 40 Prozent anwachsen.
Im Visier liegt auch in Athen vor allem der strategische Energiesektor, darunter die staatlich kontrollierten Elektrizitätswerke DEI und die großen Sonnenstromprojekte. Der deutsche Alternativenergie-Konzern Solarworld, einer der drei größten Hersteller von Solarstromprodukten weltweit, plant, bis 2020 rund 10.000 Megawatt zu installieren, was bei optimaler Sonneneinstrahlung der Leistung von rund zehn Atomkraftwerken entspräche. 2500 Megawatt davon sollen exportiert werden.
Die E.on Ruhrgas will sich am Bau der Trans-Adriatic Gaspipeline, für die vorerst 1,5 Milliarden Euro veranschlagt werden, beteiligen. Die Leitung soll Gas aus Aserbaidschan via Türkei und Griechenland nach Süditalien bringen. Von den insgesamt 800 Kilometern würden 478 durch Griechenland führen.
Zum Verkauf stehen die Landwirtschaftsbank ATE und Athens International Airport (AIA), an dem der Staat noch 55 Prozent hält; 40 Prozent besitzt bereits der deutsche Baukonzern Hochtief, der den Flughafen auch unterhält.
Deutsche Unternehmen bestreiten bereits jetzt zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts Griechenlands. Rösler drängte die Regierung in Athen außerdem, Sonderwirtschaftszonen mit niedrigeren Unternehmenssteuern einzurichten, von denen deutsche Unternehmen profitieren würden.

Gegen ein Europa der Bullen und Bonzen…

Auch in Italien sieht es nicht besser aus: An der Spitze der zur Disposition stehenden Betriebe in Staatsbesitz bzw. mit starker Beteiligung, stehen zwei Riesenunternehmen: Die Ente Nazionale Idrocarburi – ENI (Kohlenwasserstoffe) und der Industrie- und Rüstungskonzern Finmeccanica. Auch hier wittert das deutsche Kapital seine Chance. Doch damit nicht genug. Auf der Krisenagenda steht Spanien bereits als nächstes Opfer auf der Liste. Einsparungen weit über denen, die von Griechenland gefordert werden, soll die herrschende Klasse Spaniens realisieren. Und sie führen ihren Kampf gegen die Lohnabhängigen schon in bester liberaler Manier: Ein Beispiel hierfür ist der „contrato de trabajo por tiempo indefinido de apoyo a los emprendedores??? (Unbefristeter Arbeitsvertrag zur Unterstützung der Unternehmer); so der treffende Titel des Vertrages, gegen den am 29. März in Spanien der Generalstreik ausgerufen wurde. Ähnlich dem französischen CPE sollen Neubeschäftigte mit einer Probezeit von einem Jahr eingestellt werden. Der Kündigungsschutz wäre in dieser Zeit quasi aufgehoben. Weiterhin soll das Gesetz den Ausbau des Niedriglohnsektors begünstigen und die Abfindungen für Beschäftigte drosseln. Einschränkungen des Streikrechtes sind ohnehin im Gespräch. Ähnlich wie in Frankreich wehren sich die Menschen dort massiv gegen die beschlossene Nouvelle. StudentInnen, SchülerInnen, Angestellte gingen zu Hundert-tausenden gemeinsam auf die Straße. Polizeibüttel versuchten StreikbrecherInnen den Weg freizuprügeln und zeigten somit ganz klar auf welcher Seite des Klassenkampfes sie sich selbst verorten. Besonders hervorzuheben ist, dass der Streik von der CNT und CGT angestoßen wurde und die beiden anderen großen Gewerkschaften Spaniens erst dann aufgesprungen sind. Allein die beiden linken Gewerkschaften konnten so viele Menschen auf die Straße bringen, wie seit dem Untergang des Franco-Regimes nicht mehr geschehen.
In Griechenland und in Spanien kämpfen viele Menschen erbittert gegen das Verelendungsdiktat. Und was passiert in Deutschland? Nicht viel auf den ersten Blick. Aber Kürzungen und Einsparungen wurden auch hier nicht immer ohne Murren hingenommen. Einen kurzen Aufschrei gab es gegen Hartz IV oder bei den Krisenbündnissen, die sich gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen aussprachen. Zusätzlich gab es etliche Streiks und Arbeitskämpfe, von denen man nur am Rande hörte und die nicht die Wucht entwickeln konnten dem Kapital tatsächlich etwas entscheidendes entgegenzusetzen. Am 31.3. versuchte sich ein Bündnis aus radikal linken Gruppen an dem Projekt Krisenproteste. Etwa 5000 Menschen konnten nach Frankfurt mobilisiert werden, um der Bankenstadt und einem massiven Polizeiaufgebot ein wenig den Tag zu versauen. Die Demonstration wurde frühzeitig aufgelöst, so dass sie ihr Ziel, die EZB, nicht erreichte. Dennoch ist die TeilnehmerInnenzahl und der eindeutig antikapitalistische Ausdruck in den großen Medien durchaus als Erfolg zu werten. Doch natürlich kann M31 nur als Startschuss für kämpferische und massenhafte Proteste gegen Krise und Kapital gesehen werden. Denn ein Haufen Linksradikaler wird wohl nicht ausreichen, um der herrschenden Klasse eine tatsächliche Macht entgegensetzen zu können. Doch ein langer Weg sollte niemanden davon abhalten loszulaufen.

Solidarität ist eine Waffe!

In Frankfurt wird es vom 16.5. bis zum 19.5. zu erneuten Protesten kommen, die von der Interventionistischen Linken, attac, occupy und den Krisenbündnissen initiiert wurden. Ziel ist zum einen ein konkretes Zeichen der Solidarität aus Deutschland an die griechische ArbeiterInnenklasse zu senden. Zum anderen sehen die Akteure ein eigenes Handeln zur Krise und deren Auswirkungen als überfällig an. Hervorgehoben wird der internationale Charakter der Aktion. Bereits an der Aktionskonferenz, die die Aktionstage beschlossen hat, kamen AktivistInnen aus sieben Ländern zusammen. Nun mobilisieren natürlich auch sie ihre Basis dazu, am 16. Mai nach Deutschland zu reisen. Leisten kann sich das natürlich nicht jedeR und deswegen hat sich das Vorbereitungsbündnis „No Troika??? eine solidarische „Umlage??? der Kosten überlegt. Die GenossInnen, die es sich leisten können, kaufen Solikarten und finanzieren so die Tickets von anderen Leuten mit, so dass diese sich an den Protesten in Frankfurt beteiligen können. Tatsächlich haben die GenossInnen in den anderen Ländern auf ein solidarisches Zeichen aus Deutschland gewartet. Um die Tage zum Erfolg werden zu lassen, reist eine „Speakers-Tour??? im Vorfeld umher und informiert die Interessierten in ganz Europa über die anstehenden Aktivitäten. Besetzen a la occupy, blockieren a la IL und die Demonstration bietet dann noch einmal einen gemeinsamen Ausdruck. Konkret soll am Mittwoch, den 16.5. bereits mit der Besetzung der Grünflächen rund um das Bankenviertel begonnen werden. Am Donnerstag sollen dann die AktivistInnen aus allen möglichen Ländern anreisen und ihre Zelte aufschlagen. In Anlehnung an die klassischen Aktionsformen der verschiedenen Akteure ist für jedeN etwas dabei. Am Freitag in aller Früh sind die Blockaden rund um die EZB geplant. Anschließend soll Frankfurt geflutet werden. Um den Fokus nicht nur auf die Banken zu richten, sondern Kapitalismuskritik an sich sichtbar und wahrnehmbar zu machen, sollen zum einen die Finger der Blockaden thematisch gestaltet werden und auch das Fluten soll mehrere Themen abdecken. Aktionen im Bereich Militarismus, Rassismus und Betriebskämpfe sind schon geplant. Für viele andere Bösewichte, die sich in Frankfurt noch so tummeln, ist Eigeninitiative gefragt. Am Samstag beginnt um 12 Uhr dann die internationale Großdemonstration, an der selbstverständlich auch ein antikapitalistischer Block zu finden sein wird.

Perspektiven der Bewegung

Doch natürlich kann weder M31 noch Bloccupy der Weg raus aus der Elendsverwaltung namens Kapitalismus sein. Es können nur Eckpfeiler für die Organisierung der breiten Basis sein. Denn auch in Frankfurt werden vor allem diejenigen zu finden sein, die sich im Alltag sowieso schon auf die ein oder andere Weise zusammengeschlossen haben. Das Problem, oder vielmehr die Herausforderung bilden aber alle anderen, die diesen Weg noch nicht gegangen sind. Zum anderen kann es nicht unser alleiniges Ziel sein, Banken und Grünflächen zu besetzen, in denen man weder wohnen kann, noch die Güter herstellen, die für das alltägliche Leben benötigt werden. Und so stellt sich die Kernfrage linker Politik: wie lange kann man es sich noch leisten um die Knackpunkte der kapitalistischen Gesellschaft herum zu manövrieren? Wie lange kann man dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Besitzen und Nicht-Besitzen noch ausweichen? Einzelne GenossInnen führen diesen Kampf Tag für Tag, doch in der Breite der revolutionären Linken ist die Plattform für diese Kämpfe Mangelware. Die alltäglichen kleinen Siege über das System, wie Klauen zu gehen oder schwarz zu fahren, sind für den Einzelnen/die Einzelne gut und richtig. Doch ersetzen all diese kleinen Widerständigkeiten im Alltag noch lange keine kollektive Lösung. Natürlich liegt diesem Phänomen die eigene relative Schwäche zugrunde und das wird sich auch nicht von heute auf morgen ändern. Aber um die Grundfesten dieses Wirtschaftssystems tatsächlich zu erschüttern, müssen Strukturen in den Betrieben, Bildungseinrichtungen, Stadtteilen und im Bereich der Reproduktion und Erziehung aufgebaut werden, die es den Menschen ermöglichen in der radikalen Linken eine tatsächliche Alternative zum Hier und Jetzt zu sehen. Das heißt nicht, dass man in einer kleinen Parallelgesellschaft seinen kleinen Mikrokosmos aufbauen soll, der sich von der bösen Welt abkapselt. Diese Strukturen müssen vielmehr dazu genutzt werden, dem Klassenkampf von Oben etwas entgegenzusetzen und Solidarität mehr als nur zu einem Wort werden zu lassen. Dann, und nur dann, kann genau diese Masse an Menschen, die jetzt noch nicht den Sinn in Organisation und Kampf erkennt, dies als Notwendigkeit für sich selbst begreifen.

Erschienen in barricada – Mai 2012