Blockupy 2013 – Blockieren – Markieren – Demonstrieren

Der ein oder anderen ist Frankfurt aus dem letzten Jahr noch in ambivalenter Erinnerung: Mäßig koordiniertes hin- und her –Gerenne, kein Camp und Bullen überall auf der einen Seite, imposante Großdemo mit Menschen aus den unterschiedlichsten Spektren und europaweite Aktionen auf der anderen Seite. In diesem Jahr soll auf der positiven Seite noch eins drauf gelegt werden: es wird ein festes Camp geben. Vom Programm her, wird sich nicht viel ändern: Am Freitag, den 31. Mai wird es Blockadeaktionen an der EZB und bei Krisenprofiteuren am Flughafen und auf der Frankfurter Zeil (Einkaufsstraße), sowie Aktionen im Rahmen von „Recht auf Stadt“ und gegen Landraub geben. Am Samstag, den 1. Juni wird dann zur Großdemonstration aufgerufen. Der Gedanke von Blockupy, den Protest gegen die Politik der Troika in das „Herz der Bestie“ zu tragen, ist auch ein eindeutiges Zeichen der Solidarität an das Proletariat der Länder, die vom deutschen Kapital in einen Strudel der Verarmung getrieben werden. Doch auch den Menschen hierzulande soll eine Möglichkeit geboten werden, ihren Protest gegen die kapitalistische Logik und deren Auswirkungen Ausdruck zu verleihen.
Und die Vorbereitungen laufen längst auf Hochtouren: 200 Leute demonstrierten sich in Köln schon einmal warm und warben für die Aktionstage. In Venedig, Vicenza, Padua, Triest und Trient wurden Filialen der Marke Benetton blockiert und mit Aktionen markiert. Grund sind die jüngsten Ereignisse in Bangladesch, wo 1.127 Menschen beim Zusammenbruch einer maroden Textilfabrik ums Leben kamen. Aus mittlerweile 70 Städten in 10 Ländern setzen sich Proteste unter dem Motto „Peoples united against Troika“ im Bezug zu Blockupy. Die solidarischen Aktionen gegen die Troika setzen einen Meilenstein in grenzübergreifenden Aktionen linker Proteste in der jüngeren Zeit.

Doch was passiert eigentlich in den Ländern, die von der Verarmung betroffen sind? Während man im letzten Jahr noch von Protesten und Streiks an jedem zweiten Tag lesen konnte, ist es nahezu still geworden um die KämpferInnen aus Griechenland, Spanien und Co.

In Griechenland

…ist bei Weitem keine Stille eingekehrt, aber die Situation für eine revolutionäre Linke ist definitiv erschwert worden. Einige besetzte Häuser wurden in diesem Jahr bereits geräumt. Trotz massiver Proteste und Solidaritätsaktionen weit über die Grenzen Griechenlands hinaus will der Staat scheinbar 40 Projekte bis Ende des Jahres räumen. Es würden keine rechtsfreien Räume mehr geduldet. Und das macht Sinn für die herrschende Klasse Griechenlands. Wenig schadet der Linken mehr, als wenn ihnen ihre räumliche Plattform entzogen wird. Und die Schwächung der politischen Linken und der Arbeitskämpfe steht gerade auf der politischen Agenda der Herrschenden Griechenlands ganz weit oben. Die Repression verschärfte sich in den vergangenen Monaten vor allem gegen Seeleute und MetromitarbeiterInnen. Seeleute hatten aus Protest gegen Lohnkürzungen sowie Personalmangel die Arbeit niedergelegt. Sie forderten die Zahlung ausstehender Löhne sowie die Unterzeichnung von Kollektivverträgen. Zudem wendeten sie sich gegen eine geplante Reform der Küstenschiffahrt, die zu Massenentlassungen führe.

Nachdem Gespräche zwischen dem gewerkschaftlichen Dachverband der Seeleute (PNO) und der von der konservativen Nea Dimokratia geführten Koalition in Athen gescheitert waren, verkündete die PNO die Verlängerung des Ausstandes um 48 Stunden. Daraufhin gab Ministerpräsident Antonis Samaras grünes Licht zur erneuten Anwendung einer Notstandsverordnung, die streikende ArbeiterInnen unter Androhung von Haftstrafen zur Aufnahme der Arbeit zwingen soll. Bereits Ende Januar hatte die griechische Regierung so die Kampfmaßnahmen der Beschäftigten der Athener Metro, die sich gegen Lohnkürzungen im Gefolge der Austeritätsmaßnahmen wehrten, beendet. Ein von sich widersetzenden ArbeiterInnen besetztes Metrodepot ließ sie gewaltsam von der Polizei räumen. Die links orientierten Gewerkschaften riefen zu Protesten und Generalstreik auf. Doch die Verordnungen werden weiterhin zur Anwendung gebracht. Ein Demonstrant in Athen meinte hierzu: „Wenn die Regierung so weitermacht, dann wird bald ganz Griechenland mit Dienstverordnungen an den Arbeitsplatz geschleift. Dann holen sie dich früh morgens mit der Pistole im Rücken von zu Hause ab und bringen dich zur Arbeit.“ Tatsächlich braucht der Kampfgeist der GriechInnen gerade neues Pulver. Die ständige Auseinandersetzung mit den Faschisten der „Goldenen Morgenröte“ und den Bullen, wobei sich das ja nicht selten überschneidet, zehrt an den Kräften vor allem der anarchistischen Linken, die eine der wenigen sind, die sich den faschistischen Mobs auch militant gegenüberstellen. Doch eine Geschichte bringt Hoffnung: Vio.Me, eine Fabrik zur Herstellung von Baustoffen hat vor einem Monat den Betrieb unter vollständiger Arbeiterkontrolle wieder aufgenommen. Ein basisdemokratisches Projekt, das Schule macht und den Menschen wieder Mut gibt. „Besonders vor einem Jahr war die Lage kritisch. Damals verübten mehrere Menschen, die sich monatelang in der Bewegung der »Empörten« engagiert hatten, die auf den großen Plätzen ihren Protest und ihre Wut ausdrückte, Selbstmord (…) Da beschlossen wir, mit einem Brief an die Öffentlichkeit zu gehen, in dem wir unsere Situation schilderten.“ Und es gelang: Etliche Menschen zeigten sich solidarisch, brachten etwas Essen und Geld, obwohl sie selbst fast nichts haben. Die Ausdauer, welche die Vio.Me Arbeiter bis jetzt an den Tag gelegt hat, ist in diesen Zeiten von Frustration und Stagnation in Griechenland mehr als nur ein Zeichen. „Natürlich wissen wir, dass wir noch eine Weile im Kapitalismus leben müssen. Aber das heißt nicht, dass wir unsere Ziele aufgeben und die Erfahrungen der vergangenen Monate preisgeben. Deswegen gehen wir zweigleisig vor. Mit der Produktion unter Arbeiterkontrolle greifen wir das Recht der Kapitalisten an, über uns zu bestimmen. Dazu muss aber die Fabrik erhalten bleiben.“ (Zitate aus dem Interview mit Makis Anagnostou, Vorsitzender der Basisgewerkschaft der griechischen Vio.Me in Jungle World)

Spanien

In Spanien haben die Minenarbeiter ihren Arbeitskampf erneut aufgenommen. Nachdem dieser im letzten Jahr wohl einer der kämpferischsten Streiks in Spanien war, werden es die militanten Arbeiter dem Staat auch in diesem Sommer nicht leicht machen, ihren Kampf einzustampfen. Die Arbeiter hatten die Streiks begonnen, weil die Minen und somit ihre Arbeitsplätze bis zum Jahre 2018 endgültig still gelegt werden sollen. Die Verantwortlichen argumentieren mit Umweltschutz und notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien, für die Arbeiter heißt das in der momentanen Lage allerdings nichts anderes als Arbeitslosigkeit und Armut. Deswegen und weil dieser Branchenzweig in Spanien zu den sehr gut organisierten gehört, ist der Kampf auch so erbittert.

Es geht um die Existenz. Für die Menschen in Spanien hat sich die Lage nur noch zugespitzt. Seit 2007 sind über eine halbe Millionen Familien aus ihren Häusern zwangsgeräumt worden. Obdachlosigkeit war somit nicht selten die Folge. Doch die „Bewegung 15. Mai“ hat das geschafft, was man so oft bei politischen Initiativen vermisst: konkrete Handlungen. „Corrala utopía“, eine der ersten kollektiven Aneignungen durch zwangsgeräumte Familien, liegt in einem Arbeiterviertel östlich von Sevilla. Sie wird mittlerweile von 30 Familien bewohnt. Eine Rentnerin berichtet im Neuen Deutschland über ihre Situation, nachdem sie von der mickrigen Rente ihre Wohnung nicht mehr abbezahlen konnte: „Du stehst allein da und niemand hilft dir. Ich hatte die Telefonnummer der Bewegung 15. Mai von einem Bekannten erhalten. Ich dachte eine ganze Weile nach, bevor ich sie anrief.“ Sie hatte in der Presse und auf der Straße gehört, dass sie Revolutionäre seien und sie war in ihrem Leben noch nie ein politischer Mensch gewesen. Heute ist ihr sehr bewusst, wie wichtig die kollektive Besetzung der „Corrala utopía“ ist. Es war das erste Gebäude, das organisiert, öffentlich und als politischer Akt von zwangsgeräumten Familien besetzt wurde. Immer mehr Menschen sehen Besetzungen in Spanien als Perspektive. Sie werden nicht vom Wunsch nach kollektiven und alternativen Leben getrieben, sondern schlicht von dem Bedürfnis ein Dach über den Kopf zu haben.

Die eher links gerichtete Regionalregierung von Andalusien handelt nun auch. Nachdem gerade in dieser Region täglich zehn Familien auf die Straße gesetzt wurden, erließ die Vereinte Linke zusammen mit den „Sozialisten“ ein Gesetz, dass Häuser, die zwangsgeräumt werden sollen, temporär der Regionalregierung übereignet werden. Die Menschen können dann zu einem „Soziamietsatz“ von 25% des Einkommens dort wohnen bleiben. Das Vorgehen wurde sogar vom Europäischen Gerichtshof bestärkt. Da durch das Gesetz aber Banken und Immobilienfirmen benachteiligt werden, bleibt abzuwarten, wie lange es Bestand hat.

Portugal

Auch in Portugal verschärft sich die Lage der Menschen, wenn auch noch nicht in dem drastischen Ausmaß, welches in Spanien und Griechenland herrscht. Mit etwas über 17% Arbeitslosigkeit generell und knapp 40% bei der Jugend sinkt der Lebensstandard der Menschen trotzdem rapide. Vor allem die Lohnkürzungen treffen das portugiesische Proletariat hart. Die BusfahrerInnen in Lissabon mussten erhebliche Kürzungen ihrer Löhne hinnehmen. Die Konsequenzen dieses Spardiktats sind BusfahrerInnen, die am Ende des Monats Hunger leiden. Deswegen haben die KollegInnen ein Lebensmitteldepot für alle angelegt, die am Monatsende nicht mehr mit ihrem Geld hinkommen. Da das Kreise trifft, die Armut bei weitem nicht gewohnt sind, schämen sich einige, dort etwas zu essen zu holen. Dann bringen KollegInnen etwas zu ihnen nach Hause. Immerhin wird auf die ersten krassen Auswirkungen mit Solidarität untereinander reagiert. Auch die Proteste formieren sich wieder hinsichtlich des 1. Juni.

In Portugal hat der Gewerkschaftsdachverband Confederação General dos Trabalhadores Portugueses (CGTP) zu einer Großdemonstration in der Hauptstadt Lissabon aufgerufen. In Portugal soll an diesem Tag im öffentlichen Dienst gestreikt werden.

Auch die CGTP reiht sich so in die internationalen Aktionstage gegen die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) ein. Die CGTP zielt direkt auf die konservative Regierung. Der wird vorgeworfen, eine Marionette der Troika zu sein. »Wir werden diese Regierung zurücktreten«, schreibt die CGTP und knüpft an die Proteste der Empörten-Bewegung an. Die hatte zuletzt Anfang März mit 1,5 Millionen Menschen etwa 15 Prozent der Bevölkerung mobilisiert, um die „Troika zum Teufel zu jagen“. Im Rahmen der Protesttage wird am 1. Juni erneut im ganzen Land gegen die Regierung demonstriert. Die Konservativen haben gerade mit der Troika vereinbart, weitere 30 000 Stellen im öffentlichen Dienst zu streichen. Die Wochenarbeitszeit soll ohne Lohnausgleich von 35 auf 40 Stunden erhöht, das Renteneintrittsalter von 65 auf 66 Jahre angehoben und die Renten mit einer Sonderabgabe belegt werden.

Die Beispiele aus anderen Ländern sollten uns Mut machen. Jede Aktion hier vor Ort – egal ob Blockupy oder alles andere an allen anderen Tagen des Jahres ist ein notwendiges Signal an unsere kämpfenden GenossInnen überall in Europa, dass die Politik der Troika genau an dem Ort nicht unwidersprochen bleibt, der die ProletarierInnen Europas in Not und Elend stürzt. Und auch wenn bei so existenziellen Ängsten, wie sie unsere NachbarInnen erleiden, aus konservativer soziologischer Sicht eher mit Rückzug ins Private und Resignation geantwortet wird, zeigen uns die Menschen in Spanien, Griechenland, aber auch in Italien und Irland, was wir von solchen Stillhalte-Floskeln zu halten haben. Viele Menschen kämpfen, respektieren die Eigentumsverhältnisse von Haus – und Fabrikbesitzern nicht mehr, weil sie keine Existenzgrundlage mehr hätten, würden sie es weiterhin tun. Und natürlich erwächst aus reinem Elend keine Revolution, aber mit tragenden Bewegungen, kämpferischen Gewerkschaften und Basisinitiativen, die in der Lage sind, Perspektiven aufzuzeigen und praktische Lösungen anzubieten, wie Fabrik- und Hausbesetzungen, kommen wir dem Ganzen zumindest einen guten Schritt näher.

Erschienen in barricada – Juni 2013