Der revolutionäre 1. Mai in Nürnberg

Seit nunmehr zwanzig Jahren ruft ein linkes Bündnis antikapitalistischer Gruppen und Organisationen zu der jedesmal von der organisierten autonomie (OA) initiierten eigenständigen revolutionären 1. Mai-Demo auf. Zahlenmäßig bescheiden begann es damals. Heute hat Nürnberg, auch dank der Unterstützung aus der Region und dem weiteren Umland, die zweitgrößte revolutionäre Demo am 1. Mai. Zudem gibt es in immer mehr Städten der BRD eigenständige linke Maidemos, die sich vielversprechend entwickeln. Wir stellen im Folgenden einige Betrachtungen zum aktuellen Stand der Nürnberger Maidemo an. Zunächst jedoch, für alle die nicht dabei sein konnten oder den Kampftag der ArbeiterInnenklasse an einem anderen Ort begingen, eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse am 1. Mai 2012 in Nürnberg.
Nicht nur der Nürnberger Demozug, auch das jeweilige Motto, unter dem der revolutionäre 1. Mai steht, wird tendenziell länger. Diesmal lautete es „Die Welt in Aufruhr – für eine revolutionäre Perspektive! Antikapitalistisch, klassenkämpferisch, antipatriarchal! Für die soziale Revolution!“. Über 3000 Menschen beteiligten sich diesmal an der Demo, deren Spitze wie immer ein geschlossener schwarzer Block mit Seitentransparenten bildete. Neben der Krisenpolitik der Herrschenden, der staatlichen Unterstützung faschistischer Terrornetzwerke und der Perspektive einer befreiten Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung war die Solidarität mit dem derzeit in Nürnberg in Untersuchungshaft sitzenden Antifaschisten Deniz (siehe Artikel Seite 6) ein thematischer Schwerpunkt. Von den eingesetzten Polizeikräften (verlässlichen Informationen zufolge insgesamt 1600) war recht wenig zu sehen. Von Anfang an verzichteten die Uniformierten auf jedes Spalier, hatten jedoch an manchen Abzweigungen der Demoroute stark besetzte Absperrungen errichtet – eine neue Art der Provokation, die geeignet ist zu verhindern, dass sich Leute der Demonstration spontan anschließen. Die massiven illegalen Vorkontrollen inklusive Feststellung der Personalien von DemoteilnehmerInnen, welche in den letzten Jahren ein besonderes Ärgernis waren, fanden diesmal nicht statt. Wir werden später noch darauf zurückkommen und uns ansehen, warum das so war. Manche hatten jedenfalls ein ganz anderes Szenario befürchtet, und das mit einigem Grund: Vor der mittlerweile etablierten Vorabenddemo am 30. April in Fürth war die Polizei wieder einmal durch Schikanen und Einschüchterungsversuche aufgefallen.

Die Vorabenddemo in Fürth

Das Motto, unter dem die Antifaschistische Linke Fürth (ALF) und die Jugendantifa Fürth (JAF) zur antikapitalistischen Vorabenddemo aufgerufen hatten, lautete „Internationale Solidarität statt soziale Spaltung – Faschismus bekämpfen! Kapitalismus abschaffen!“. Die Mehrzahl der über 300 TeilnehmerInnen sah sich mit massiven Kontrollen und anderen Polizeischikanen konfrontiert. So wurden Fahnenstangen aus Plastik konfisziert (wir erinnern uns, dass einige Wochen zuvor die Fürther Polizei den Nationalsozialisten eine Demonstration spendiert hatte, bei der diese Metallstangen mit sich führen durften). Auch Batterien für ein Megaphon wurden beschlagnahmt. Die Polizei kontrollierte nahezu alle Demonstrierenden und begleitete die Demo mit einem großen Aufgebot in provozierender Weise. Die ALF wertet die Demo dennoch zu Recht als Erfolg: „Auch im vierten Jahr in Folge konnten wir ein deutliches Zeichen gegen Faschist_innen und die herrschende Klasse setzen.“ Sie kündigte an: „Wir werden aus dem Verhalten der Fürther Polizei – Nazis zu hofieren (wie bei der letzten Neonazidemonstration in Fürth) und Antifaschist_Innen immer wieder mit Repression zu überziehen – unsere Konsequenzen ziehen.“

Zurück nach Nürnberg

Die Abendzeitung und die Nürnberger Nachrichten bemühten sich dieses Jahr im Rahmen ihrer journalistischen Fähigkeiten möglichst objektiv über den revolutionären Mai und seine Inhalte zu berichten. Dass sie überhaupt relativ ausführlich berichteten ist deswegen bemerkenswert, da es dieses Jahr zu keinen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam und schon gar nicht zu irgendeiner „Randale“, die Innenminister Herrmann so gerne geiselt. Beide Blätter fanden es nötig, in ihren Überschriften das Wort „friedlich“ unterzubringen.
Bei einigen Menschen, die sich erst seit kurzer Zeit oder zum ersten mal an den revolutionären Maidemonstrationen beteiligen könnte sich der Eindruck einstellen, das relativ defensive Verhalten der Polizei sei Zufall oder ein Geschenk der Polizeiführung und der kämpferische und entschlossene Block an der Spitze der Demonstration reine Pose. Dies ist natürlich nicht der Fall. Dass die Polizei in Nürnberg z.B. Seitentransparente duldet, wurde in vielen Auseinandersetzungen auf Demonstrationen (auch auf revolutionären Maidemos) militant erkämpft. Dass 2012 Angriffe auf die Demo oder ein provozierendes Polizeispalier ausblieben, hängt ebenfalls mit den Erfahrungen zusammen, die der bayerische Repressionsapparat mit früheren Versuchen gemacht hat, die Maidemonstrationen zu stören und zu behindern. Noch am1. Mai 2011 erlitten angeblich mehr als zwei dutzend Beamte schreckliche Knalltraumata durch Sylvesterkracher. 2012 beschränkte sich die Polizei im wesentlichen auf die Aufgabe, im Umkreis des Demonstrationszuges den Verkehr zu regeln. Eine einfache Lösung. Die Feststellung „Keine Polizei – kein Stress“ scheint diesmal verstanden worden zu sein. Zwar lungerten gewaltbereite USK-Einheiten den ganzen Tag in den Seitenstraßen und Hinterhöfen Gostenhofs herum, doch hatten sie offensichtlich den Befehl bekommen auf Provokationen zu verzichten, keine Pfandflaschen zu stehlen und keine Körperverletzungen zu begehen. Am 1. Mai 2010 hatten sich zwei Polizeibeamte in Zivil provozierend mit einer Kamera in den Eingang des internationalistischen Straßenfestes gestellt, um die dort endende Demo zu empfangen. Das breite Grinsen fror den beiden schnell ein, als sich der Demozug schnell auf sie zubewegte und sie plötzich Fersengeld geben mussten, bis sie sich hinter einem USK-Zug in Sicherheit bringen konnten. Die Folge waren längere militante Auseinandersetzungen und das stundenlange Abbrennen eines größeren Lagerfeuers in Sichtweite des Straßenfestes.
Auch dass die Polizei mittlerweile so schlau ist, das Fest und seine unmittelbare Umgebung nicht mehr zu betreten, ist eben das Resultat früherer Auseinandersetzungen.
Früher gab es in unmittelbarer Nähe des internationalistischen Straßenfestes des öfteren Festnahmen. Noch früher versuchten Polizeieinheiten sogar, das Festgelände zu betreten. Beides führte jeweils zu heftigen Reaktionen und entschlossener Gegenwehr. Mittlerweile hält sich die Polizei außer Sichtweite des bunten Straßenfestes, lungert in Nebenstraßen und bekommt von den Anwohnern vermittelt: Ganz Gostenhof hasst die Polizei!

Und was war nun diesmal ?mit den Vorkontrollen?

Also: Vieles, was in anderen Städten noch nicht geht, wurde durchgesetzt in teils harten und langwierigen Kämpfen, begleitet von politischem Druck und einer mittlerweile wahrnehmbaren (aber natürlich noch ausbaufähigen) Verankerung in Teilen der Bevölkerung. Leider wurde die überflüssige Anwesenheit der Polizei in der Stadt noch nicht beendet und manch anderes Ärgernis besteht weiterhin oder kam neu hinzu.
Schikanöse Kontrollen vor der Demo etwa waren früher die Regel und hatten in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Diesmal blieben sie die Ausnahme. In Absprache mit dem Maibündnis und begleitet von OrdnerInnen und PressevertreterInnen hatten sich auf der Höhe der üblichen Kontrollpunkte Dokumentationsgruppen aufgestellt, die alle polizeilichen Maßnahmen beobachteten und dokumentierten. Zudem wurden vor den Kontrollstellen Flugblätter verteilt, in denen einige Informationen über das Versammlungsrecht geboten wurden und darüber, inwieweit die Polizei vor Demos kontrollieren darf. In den Flyern hieß es unter anderem: „Wir wollen demonstrieren, ohne polizeilich erfasst zu werden. Wir stellen uns daher nicht an polizeiliche Kontrollstellen an, um uns durchsuchen zu lassen. Wir werden uns nicht unwidersprochen dem Kontrollzwang unterwerfen. Unser Ziel ist die Auftaktkundgebung, nicht die Polizeikontrolle.“ Es folgten eine Reihe von Verhaltenstipps, „falls sie euch trotzdem aufhalten“. Das Konzept ging auf. Menschen sammelten sich in größeren Gruppen, um gemeinsam durch die Kontrollketten zu gehen. So wurden nur einige wenige aufgehalten. Das illegale Verhalten, das die Beamten bei diesen wenigen Gelegenheiten natürlich teilweise wieder an den Tag legten, konnte dokumentiert werden. Nachdem die Teams abgezogen waren, da die Demo sich langsam aufstellte, ging die Polizei größtenteils wieder zu ihrem aus den vergangenen Jahren bekannten Verhalten über. Trotzdem: Noch nie waren so viele Menschen unkontrolliert zum Maiauftakt gelangt. Wir hoffen, dass dieses Konzept weiter verfolgt und ausgebaut wird.
Und wie ging der revolutionäre erste Mai in Nürnberg zu Ende? Mit einem wie immer sehr schönen internationalistischen Strassenfest im Anschluss an die Demo, das von tausenden DemonstrantInnen, NachbarInnen und anderen Gästen besucht wurde. Am späteren Nachmittag entschlossen sich dann einige Menschen, in Solidarität mit dem in wenigen hundert Metern Entfernung in U-Haft sitzenden Deniz eine Spontandemo vor dem Justizgebäude und beim Knast abzuhalten. Auch auf dem Straßenfest selbst waren Zeichen der Solidarität mit dem von Repression betroffenen nicht zu übersehen.
Unser Fazit zum revolutionären 1. Mai 2012: Nach zwanzig Jahren immer noch frisch und kämpferisch – und es wird immer besser…

Erschienen in barricada – Mai 2012