Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen

1992: Eine seit Jahren laufende konzertierte Hetzkampagne gegen MigrantInnen und speziell Flüchtlinge erreicht ihren Höhepunkt. Nach der Annexion der DDR bieten PolitikerInnen von SPDCDUCSU, flankiert von fast allen bürgerlichen Medien, der mittlerweile gar nicht mehr euphorischen Bevölkerung ein Feindbild: „Asylbetrüger“, die nach Deutschland fluten, obwohl „das Boot längst voll“ ist. Kriminelle „Asylanten“, die das Grundgesetz ausnutzen, um sich auf Kosten der ehrlichen Deutschen hier auszubreiten und zu vermehren.
Durch diese Kampagne, mit der auch die faktische Abschaffung des Rechts auf politisches Asyl vorbereitet werden sollte, wurden faschistische Gruppen und Organisationen enorm gestärkt. Der Alltagsrassismus war allgegenwärtig und Angriffe und Mordanschläge auf MigrantInnen häuften sich. Zwischen dem 22. und dem 26. August 1992 griff in Rostock ein Mob von zunächst einigen hundert, später ca. 1000 RassistInnen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in einem Lichtenhagener Plattenbau an. Mehrere tausend RostockerInnen beteilgten sich als unterstützende und applaudierende ZuschauerInnen.
Die Polizei hinderte die AngreiferInnen nicht daran, die ZASt und später den Teil des Plattenbaus, der als Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter und deren Familien diente, mit Brandsätzen und Steinen anzugreifen. Am zweiten Tag des Pogroms drangen bewaffnete FaschistInnen, jetzt unterstützt von etlichen aus ganz Norddeutschland angereisten Neonazis, in die ZASt und das Wohnheim ein und legten Brände. Die Polizei, die rund um den Plattenbau immer noch kaum Präsenz zeigte, begann nun, härter durchzugreifen: Sie nahm Linke fest, die den Eingeschlossenen zur Hilfe kommen wollten. Dieses Vorgehen sollte sich in den nächsten Tagen noch mehrfach wiederholen. Am Nachmittag des dritten Tages wurde die ZASt schließlich evakuiert. Die Polizei zog sich daraufhin komplett zurück, denn es war bekannt geworden, dass die Angriffe auf das Wohnheim und die sich darin befindenden über hundert Menschen am Abend weitergehen sollten. Kurz nach neun Uhr setzten die RassistInnen die unteren Stockwerke des Plattenbaus mit Molotow-Cocktails in Brand. Eine halbe Stunde später informierte eine Anwohnerin die Feuerwehr, die aber vom Mob daran gehindert wurde, an das brennende Hochhaus heranzukommen. Die im Wohnheim eingeschlossenen Männer, Frauen und Kinder konnten abgesperrte Notausgänge aufbrechen und über das Dach in einen anderen Teil des Plattenbaus flüchten. Sie wurden begleitet von einem ebenfalls im Gebäude eingeschlossenen Kamerateam des ZDF, das live berichtete. Zwei Stunden nach der Brandlegung hatte schließlich eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei der Feuerwehr doch noch ermöglicht, an das Haus heranzukommen. Die VietnamesInnen, welche sich selbst gerettet hatten, wurden kurz vor Mitternacht von der Polizei mit Bussen abtransportiert.
Am Samstag nach den Angriffen demonstrierten in Rostock über 15.000 Menschen unter dem Motto „Stoppt die Pogrome“. Sie wurden von 3000 PolizeibeamtInnen begleitet. Tausende waren erst gar nicht nach Rostock gelangt, da sie außerhalb der Stadt von der Polizei eingekesselt wurden. Zudem wurden die Zufahrtsstraßen nach Rostock gesperrt und der Bahnverkehr wurde vor der Demonstration eingestellt. Die CDU-Führung äußerte in ersten Stellungnahmen, autonome Chaoten wären an den Angriffen auf Zast und Wohnheim beteiligt gewesen. Bundeskanzler Helmut Kohl schließlich wusste, wer die Angriffe gelenkt hatte: Die Stasi!
Bekanntlich mordeten die Nazis in den folgenden 20 Jahren fast unbehelligt. Die Beteiligung des Staates und seiner Polizei und Geheimdienste an den faschistischen Aktivitäten wird derweilen immer offensichtlicher. In Rostock zeigte sich 1992 deutlich das Ausmaß staatlicher Unterstützung und Lenkung faschistischer Angriffe.
Ein breites Bündnis lädt anlässlich des 20. Jahrestages des Rostocker Pogroms für den 25.8.2012 um 14.00 Uhr zu einer Großdemonstration nach Rostock ein. Mehr unter lichtenhagen.net

Erschienen in barricada – August/September 2012