»Jeder behauptet, andere seien zuständig«
Chaos um Flüchtlinge in Nürnberg: Unterbringung in Zelten, Securitykräfte als Sanitäter, Essen knapp. Gespräch mit Sabine Züge
Interview: Gitta Düperthal
Sabine Züge engagiert sich beim offenen Unterstützerplenum für Flüchtlinge in Nürnberg.
Flüchtlinge aus mehreren Krisengebieten wurden kürzlich nach Zirndorf verlegt, nachdem im Münchner Erstaufnahmelager wegen Masern ein Aufnahmestopp verhängt worden war. Das Zirndorfer Auffanglager platzt aber seit rund einem Jahr aus allen Nähten. Hunderte sind nun in Nürnberg untergebracht – in Festzelten. Wie sieht deren Alltag aus?
Die Zelte wurden Ende August für etwa 300 Leute aufgestellt – rund 200 sind zentral an der Deutschherrenwiese untergebracht; weitere 100 im Industriegebiet an der Frankenstraße, nahe dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dort ist das Zelt abgeschottet, selten kommen Menschen vorbei. Wie viele genau in den Zelten sind, ist auch für uns Unterstützer schwer durchschaubar. Ständig werden Flüchtlinge hingebracht oder abgeholt. Hauptsächlich sind in den Zelten Syrier, Eritreer, Iraker, Ukrainer, Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, etwa aus Somalia, Ägypten, oder aus östlichen Ländern, Bulgarien, Rumänien, Mazedonien und Albanien, untergebracht.
Sie waren zuletzt am Montag dort, durften aber nicht mehr auf das Gelände und konnten mit Flüchtlingen nur vor den Zelten sprechen. Wie ist die aktuelle Situation?
Offiziell hieß es: Weil es um Erstaufnahme gehe, sollten sie nur zwei bis drei Tage dort unterkommen. Aber wir wissen von einigen, daß sie schon eine Woche dort sind. Sie schlafen in Zweistockbetten, über die sie notdürftig Bettlaken werfen, um einen Rest Privatsphäre zu wahren. Es gibt wenige Duschen, einmal am Tag erhalten sie knapp bemessenes Essen; darum kümmerte sich zuerst das Deutsche Rote Kreuz. Plötzlich tauchte die Organisation nicht mehr auf, nur noch eine private Cateringfirma. Sozialarbeiter gibt es nicht, nur völlig überforderte Securitykräfte als Ansprechpartner. Mitunter müssen die gar als Krankenpfleger fungieren. In den vergangenen Tagen durfte niemand mehr auf das Gelände, Pressevertreter wurden abgewiesen. Aktivisten sollten Termine mit dem Security-Chefbüro vereinbaren. Das Zelt an der Frankenstraße ist umzäunt. Auch eine SPD-Politikerin, die die Stadtregierung vertritt, mußte sich ausweisen.
Niemand scheint sich also in der Verantwortung zu sehen…
Ja, jeder behauptet, andere seien zuständig. Der zuständige Regierungspräsident von Mittelfranken, Thomas Bauer (CSU), hat zwar das Aufstellen der Zelte veranlaßt, schiebt aber alles auf das Land Bayern. Dagmar Wöhrl, eine Bundestagsabgeordnete der CSU, schämt sich, spricht aber wiederum von einem Versagen der Regierung in Mittelfranken. Von Verantwortlichen der Stadt Nürnberg ist zu hören, diese sei nicht involviert – und nur zuständig, wenn dort Katastrophenalarm ausgerufen werde. In den vergangenen Tagen gab es eine Pressesperre, Interviews wurden abgesagt.
Wie äußern sich die Flüchtlinge dazu?
Unterschiedlich. Einige aus dem überfüllten Lager in Zirndorf waren sogar froh, hier unterzukommen. Dort muß es noch katastrophaler sein, sie hatten sich um Betten prügeln müssen. Andere sagen: Das geht gar nicht. Vor allem die völlige Ungewißheit, wie sich ihre nahe Zukunft gestaltet, macht die Leute fertig. Es gibt keinerlei Kontaktmöglichkeit, um Fragen zu stellen. Nach ihrer Flucht können sie nicht zu Hause anrufen und sagen: »Hallo, ich lebe noch.« Völlig in der Luft zu hängen, das ist das größte Problem. Das Wetter ist wechselhaft, teilweise kalt. Manche kamen mit Flipflops an, ohne angemessene Kleidung. Anwohner haben gut reagiert und Klamotten angeschleppt, obgleich das Rote Kreuz – damals noch anwesend – behauptet hatte, es sei unnötig. Der deutsche Staat kommt seinen Aufgaben nicht nach.
Für den 4. Oktober ist eine Demonstration gegen die europäische Verarmungspolitik geplant, die sich gegen zwei Nürnberger Institutionen richtet, das BAMF und die Bundesagentur für Arbeit (BA). Protestieren Erwerbslose und Asylsuchende nun gemeinsam?
Wir hoffen es. Wir rufen zu einem antikapitalistischen Block auf der Demo des Sozialforums Nürnberg auf. Die Flüchtlingsbewegung ist aktiv, hat kürzlich das BAMF besetzt. Nach heftiger Kritik an der geplanten Verschärfung der Hartz-IV-Sanktionen hoffen wir auf ein Erwachen der Erwerbslosenbewegung nach zehn Jahren Agenda 2010: Ausgrenzende Migrationspolitik und das Drangsalieren der Armen sind zwei Seiten einer Medaille.