Gemeint sind wir alle!

Di, 05.11.13, 09 Uhr

Der Prozess gegen Sonja Suder steht kurz vor seinem Ende

FFM-Urteil-Poster_600Die herrschende Klasse hat schon immer jedes Mittel angewandt, das geeignet schien, die eigene Herrschaft zu sichern. Folter, Mord, Knast, Konzentrationslager, Genozid: Das Repertoire ist aus Geschichte und Gegenwart bekannt. Inwieweit sich der Justizapparat der herrschenden Klasse den Anschein geben muss, den bürgerlichen Maximen gerecht zu werden, hängt von der jeweiligen Ausprägung der Klassenherrschaft ab. Auch in offen terroristischen Phasen der Sicherung des Kapitalismus wird sich die Justiz meist noch einen Restanstrich von Rechtmäßigkeit geben und gewisse Formen wahren. Andererseits zeigt sich der bürgerliche Justizapparat auch in ruhigeren historischen Abschnitten oft höchst geschmeidig, wenn es darum geht, Menschen zu verfolgen, die für eine vom Kapitalismus befreite Gesellschaft kämpfen. Bis zu einem gewissen Grad wird dieser Apparat auf Verjährungsfristen, Haftunfähigkeit und andere Kleinigkeiten pfeifen, ohne fürchten zu müssen, dass der breiten Öffentlichkeit bewusst wird, was er ist: Eine Farce.

Eine revolutionäre Bewegung, welche den Kapitalismus in einem Land ernsthaft gefährdet, wird mit dem Rückgriff der Herrschenden auf eine offen terroristische Diktatur rechnen müssen – und sollte darauf vorbereitet sein. Dies zeigt das zu Beginn der 1970er aktuelle Beispiel Chile, wo US-amerikanische Geheimdienste und reaktionäre Militärs die durch bürgerlich-demokratische Wahlen an die Macht gekommene Unidad Popular wegputschten und eine Militärdiktatur errichteten. Für viele der damaligen AktivistInnen war unter anderem dies ein Anlass, Konzepte der bewaffneten Gegenwehr vorzubereiten. Diese Überlegungen führten auch zur Entstehung der Revolutionären Zellen (RZ) bzw. später der Roten Zora.

Schon bevor fortschrittliche Bewegungen eine kritische Masse entwickeln können, wir der bürgerliche Staat alles zu unternehmen, was das Anwachsen und den Fortbestand dieser Bewegungen verhindert. Hierbei geht es nicht nur um das Aus-dem-Verkehr-ziehen von Akteuren und das Zerschlagen von Organisationen und Gruppen, sondern auch um präventive Einschüchterung von Menschen, die sich überlegen, gegen die mörderischen Veranstaltung, die der Kapitalismus ist, ernsthaft etwas zu unternehmen. Manchmal kommt schlicht noch Rache als Motiv dazu.

Sonja und Christian

Um Rache an unbeugsamen RevolutionärInnen, auf einer rationaleren Ebene aber vor allem um ein Signal an andere radikale Linke, geht es offensichtlich beim derzeitigen Verfahren gegen Sonja Suder und Christian Gauger, denen die Beteiligung an Aktionen der Revolutionären Zellen in den 70er Jahren vorgeworfen wurde. Das Zeichen: Der Staat vergisst nicht!

Sonja (geboren 1933) und Christian (geboren 1941) waren in den 70ern in Frankfurt politisch aktiv. Als sie 1978 bemerkten, dass sie von der Polizei überwacht wurden, entschieden sie sich, nicht in Deutschland Opfer der politischen Repression zu werden, sondern nach Frankreich auszuwandern, wo sie zunächst 22 Jahre zurückgezogen in der Illegalität lebten. Im Jahr 2000 wurden die beiden verhaftet und verbrachten drei Monate in Untersuchungshaft. Die französische Justiz weigerte sich jedoch die beiden nach Deutschland auszuliefern. Dort wurden sie gesucht wegen der angeblichen Beteiligung an zwei Anschlägen der RZ, bei denen jeweils Sachschaden entstanden war (einer gegen ein Gebäude der MAN in Nürnberg, ein weiterer auf das Heidelberger Schloss, um gegen Gentrifizierungsmaßnahmen zu protestieren) sowie ein missglücktes Attentat auf eine weitere Firma. Nach weiteren elf Jahren und einigen Hin und Her wurden Sonja und der inzwischen schwerkranke Christian 2011 aufgrund eines europäischen Haftbefehls von Frankreich an die BRD ausgeliefert. Am 21. September 2012 begann der Prozess gegen Sonja und Christian. (Wir berichteten) Das Verfahren gegen Christian wurde im August 2013 eingestellt.

Ein wichtiger Zeuge der Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen Sonja war Hans-Joachim Klein, der am Angriff auf die OPEC-Zentrale in Wien 1975 beteiligt gewesen war. Bei dieser Aktion unter dem Kommando Ilich Ramírez Sánchez (Carlos) wurden drei Menschen getötet. Klein hatte sich bereits in den 70er Jahren von der revolutionären Linken losgesagt und fortan in Frankreich in der Illegalität gelebt. 1998 wurde Klein festgenommen und zwei Jahre später nach Deutschland ausgeliefert, wo er wegen des Überfalls auf die OPEC-Zentrale, das heißt wegen dreifachen Mordes, Mordversuchs und Geiselnahme zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.
Da er sich von seiner Vergangenheit gründlich distanziert hatte und vor allem weil er nicht zögerte, Verrat an seinen ehemaligen GenossInnen zu begehen und als Kronzeuge Menschen zu belasten, wurde Klein bereits 2003 begnadigt.
Klein, der schon in der Vergangenheit durch unwahre Behauptungen und falsche Beschuldigungen aufgefallen war, brachte Sonja auch im laufenden Gerichtsverfahren mit der OPEC-Aktion in Verbindung. Sie hätte sich für die Aktion der Carlos-Gruppe angeworben und Waffen geliefert, die nur deswegen nicht zum Einsatz gekommen seien, weil kurz vor der Aktion bessere aus der libyschen Botschaft eingetroffen seien. Am 23. August 2013 sagte nun auf Anfrage der Verteidigung der Polizeibeamte aus, der Klein nach dessen Festnahme 1998 in Frankreich verhört hatte. Dieser erinnerte sich, dass Klein damals andere Personen für die Tätigkeiten im Vorfeld des OPEC-Attentats verantwortlich gemacht hatten, die er nun Sonja zuschreibt. Auch hätte Klein nicht, wie später von ihm behauptet, Sonja bei der Fotovorlage identifiziert.

Eigentlich hatte sich der Vorwurf der Verwicklung in die OPEC-Aktion hiermit erledigt. Nach über zwei Jahren Untersuchungshaft hätte Sonja nach dieser Wende im Verfahren eigentlich sofort freigelassen werden müssen. Eigentlich. Das der Richter an der Untersuchungshaft festhält lässt befürchten, dass er weiterhin eine Verurteilung und die Verhängung einer hohen Haftstrafe plant. Was der Anklage übrig blieb, waren die dubiosen Aufzeichnungen von Aussagen, die Hermann F. 1978 schwer verletzt und unter Morphinmedikation gemacht haben soll. Hermann F. Hatte die Elektronik des Zünders eines kleineren Sprengsatzes überprüfen wollen, der am argentinischen Generalkonsulat in München für Sachschaden hatte sorgen sollen. Der Sprengsatz explodierte in seinem Schoß. Hermann überlebte nur knapp. Er verlor bei dem Unfall beide Beine und seine Augen. Angeblich soll er während der sofort einsetzenden Dauerverhöre, an die er sich größtenteils später nicht erinnern konnte, Sonja die Beteiligung an Anschlägen der Revolutionären Zellen auf das Heidelberger Schloss und gegen die Atomindustrie zugeschrieben haben. Seine Aussagen kamen unter Bedingungen zustande, die man als Folter bezeichnen muss und sind schon daher wertlos. Das Gericht beschloss, sie zu berücksichtigen und über ihre Verwertbarkeit während der Abschlussberatung zu entscheiden.

Der Prozess geht weiter am 05. November mit dem Plädoyer der Verteidigung. Die Urteilsverkündung ist schließlich am Dienstag, den 12. November.

Kommt zur Urteilsverkündung!

Erschienen in barricada – November 2013