Am 28.11.2015 findet der sogenannte „1. Deutsche Genderkongress“ in Nürnberg statt. Die VeranstalterInnen behaupten dabei von sich, dass es sich hierbei um den ersten „ganzheitlichen Genderkongress“ handeln solle, da der Fokus des Kongresses auf Chancengleichheit nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern in der Gesellschaft liege.
MännerrechtlerInnen und antifeministischer Rollback
Ziel des Kongresses sei es, nach den VeranstalterInnen unter anderem einen Austausch zwischen Organisationen der Frauen-, Mütter- und Mädchenarbeit und der Männer-, Väter- und Jungenarbeit zu organisieren. Betrachtet man die, an der Veranstaltung beteiligten Organisation, wird sehr schnell klar, dass diesem Anspruch auf keinen Fall gerecht wird. Kein einziger Frauenverband ist Teil der veranstaltenden oder teilnehmenden Organisationen. Stattdessen finden sich dabei verschiedenste Verbände, deren Fokus allein auf eine angebliche Diskriminierung von Männer, explizit von Vätern und von Jungen gerichtet ist. Als Deckmantel werden Organisationen herangezogen, die einen intergeschlechtlichen Dialog organisieren wollen und ihren Fokus nicht explizit auf Männer gelegt haben. Exemplarisch hierfür ist das „Forum soziale Inklusion“. Zwar formuliert dieses Forum als Ziel eine Geschlechterpolitik, bei der sich Männer und Frauen auf Augenhöhe begegnen. Zwar wird auf die grundlegend Benachteiligung von Frauen eingegangen, allerdings wird diese Erkenntnis schnell revidiert, indem selektiv Felder herangezogen werden in denen es eine sehr hohe Bildungsbeteiligung von Frauen gibt. Dies wird als Beleg dafür herangezogen, dass es eine einseitige Berichterstattung über Benachteiligung von Frauen gibt, und eine Benachteiligung von Männern ausgeblendet wird. Im Unterschied hierzu versuchen sogenannte Männerrechtsverbände gar nicht erst, das scheinbare Ziel einer ausgeglichenen Geschlechterpolitik aufrecht zu erhalten. Stattdessen wird der Fokus hier nur noch auf Männer, bzw. Jungen oder Väter gelegt. Unter den teilnehmenden Verbänden befinden sich fast ausschließlich Organisationen aus diesem Spektrum. Beispielhaft ist hierfür der Verein Manndat e.V.. Dieser gibt sich gar nicht erst die Mühe eine Diskriminierung von Frauen zu relativieren, sondern postulieren, dass heutzutage Männer von gesellschaftlicher Diskriminierung betroffen seien. Unter anderem besitzt das vom Verein in seinem im Oktober 2015 veröffentlichen Buch „Das Gender System“ so bezeichnende Kapitel wie „Sexismus gegen Männer“ oder „Frauen, die nicht genug kriegen“. Männer werden in der Logik dieser Bewegung zu Opfern von gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen, wie der Frauenbewegung, stilisiert. Sie seien die Verlierer bei Scheidungen, da sie Unterhalt zahlen müssen. Jungen werden verweichlicht und im Bildungssystem vernachlässigt, wenn geschlechtsneutrale Erziehungsmethoden eingesetzt werden. Die Männerrechtsbewegung verharmlost durch ihre Vorstellung, dass Männer die eigentlich Diskriminierten in der Gesellschaft sind, die gesellschaftliche Realität.
Tatsächlich sind Frauen aber immer noch strukturell benachteiligt. Sie verdienen z.B. im Schnitt weniger, ihnen fällt ein Gros der Haus- und Erziehungsarbeit zu und sie müssen sich im Regelfall immer noch zwischen Kindern und Karriere entscheiden. Wer plakativ einige Bespiele herausgreift, die in das eigene Weltbild passen, etwa dass der überwiegende Anteil an Obdachlosen männlich sind oder dass in wenigen, speziellen Studiengängen eine überwiegende Anzahl der AbsolventInnen Frauen sind, der kritisiert keine gesellschaftlichen Probleme, sondern leugnet die Ursachen und nutzt die Symptome für die eigene politische Agenda.
Schlussendlich dreht sich nämlich jegliche Argumentation der Männerrechtsbewegung darum, die seit den 70er Jahren existierende Frauen- und Homosexuellenemanzipation zurückzudrängen. Feminismus zielt drauf ab, dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht und sexueller Identität, an der Gesellschaft teil haben können. Deswegen werden eben jene Strukturen angegriffen, die einen strukturellen Ausschluss hervorrufen und manche Menschen, eben im besonderen heterosexuelle Männer privilegieren.
Das politische Programm der Männerrechtsbewegung erklärt den Feminismus stattdessen als eine feindliche Weltanschauung, die nur dazu da ist, Männer in einer diffus konstruierten Art und Weise zu unterdrücken. Verwendet wird der Antifeminismus dabei als Mittel, um die bisher erreichte Emanzipation aller, die nicht Teil der heterosexuellen, männlichen Bevölkerung sind, zurückzudrängen, bzw. weitere Erfolge in der Gleichstellung aller Geschlechter und sexueller Identitäten zu verhindern. Es handelt sich also zugespitzt um eine Bewegung, in der sich Menschen nach gesellschaftlichen Realitäten sehnen, die zuletzt in den 50er und 60er Jahren aktuell waren. Damals war der Mann noch eindeutig „Herr“ in der Kleinfamilie, die Frauen kümmerten sich um Haushalt und Kinder und man(n) wusste, dass Homosexualität und Trans*-, sowie Interidentitäten falsch und verabscheuungswürdig seien.
Angriff auf alternative Lebens- und Familienmodelle und sexuelle Selbstbestimmung
Als einzig gültigen Lebensentwurf lässt diese antifeministische Männerrechtsbewegung, die den Genderkongress in Nürnberg zu großen Teilen trägt, die heterosexuelle Zweierbeziehung und dabei vorzugsweise die klassische Ehe/ die klassische Kleinfamilie zu. Frauen sind dort meist einer Doppelbelastung ausgesetzt. Zum einen müssen sie ökonomische Arbeit verrichten, zum anderen bleibt an ihnen meistens, abgesehen von wenigen Ausnahmen die Arbeit im Haushalt hängen. Ein anderes Los ist das der klassischen Hausfrau. Statt in einem Erwerbsarbeitsverhältnis stehen Frauen dort in einem gnadenlosen, ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Ehepartner. Ein Ausweg aus diesem bedeutet noch heute eine radikalen Bruch mit der materiellen Versorgung und fast immer den sozialen Abstieg.Primär liegt der Fokus des Kongresses dabei auf getrennt lebenden Paaren. Getrennt lebende Männer werden hierbei zu Opfern stilisiert, da sie in den Augen verschiedener Väterorganisationen zu lange und zu hohe Unterhaltszahlungen und Alimente leisten müssen. Zusätzlich wird kritisiert, dass Väter zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen dürfen und dass eine fehlende männliche Bezugsperson schädlich in der Entwicklung der Kinder sei.
Andere Formen des Zusammenlebens und vor allem der individuellen Selbstbestimmung über das eigene Leben sind wohl innerhalb der Männerrechtsbewegung nicht denkbar. Es wird ein normatives Lebensmodell postuliert, dem sich Frauen zu beugen haben. Abweichungen von der Norm, werden als feministische Propaganda und damit als Unterdrückung des Mannes und der Männlichkeit an sich verschrien. Sexualität wird dabei in erster Linie auf den reinen Aspekt der Fortpflanzung reduziert. Sexualität, die z.B. Lustgewinn, gegenseitiger Respekt und Konsensualität einschließt wird ausgeblendet.
Identitäten jenseits der Kategorien „Mann“ und „Frau“, also Trans*- und Interidenitäten, existieren scheinbar nicht. Auch über Homosexualität schweigt man sich im besten Falle aus. Im weniger guten Fall werden auch homosexuelle Personen zu Feindbildern erklärt. Exemplarisch lässt sich hier die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Goslar Monika Ebeling heranziehen. Sie darf auf dem deutschen Genderkongress zur Historie der Männer- und Frauenbewegung, sowie zu zukünftiger Geschlechterpolitik referieren. So kritisiert sie in ihrem Text „Keine Panik in der Geschlechterdebatte“, dass die Wertschätzung vieler Frauen für das männliche Glied zu wünschen übrig lasse und ein Bild existiere, dass es wahre Liebe nur unter Frauen gebe. Dabei vergisst sie, dass es nun mal Frauen gibt, die Vaginas Penissen vorziehen.
Das Bild eines selbstbestimmten Individuums, dass selbst entscheiden kann wie es leben und lieben will scheint nicht zu existieren.
Antifeministische Bewegung und die Neue Rechte
Der deutsche Genderkongress steht im Kontext eines gesamtgesellschaftlichen Klimas, das derzeit geprägt ist von rassistischen Pegida Aufmärschen, neokonservativen LebenschützerInnen, die auf die Straße gehen und gegen Abtreibung wettern, antifeministischen MännerrechtlerInnen, wertkonservativen Familienverbänden und rechtspopulistischen Bewegungen (Partei: Alternative für Deutschland).
Postuliert wird eine vermeintliche Unterwanderung der Gleichstellungs-, Bildungs- und Familienpolitik durch Forderungen von Frauen, ein „Genderwahn“ wird in den Medien befeuern, gegen die Homoehe wird sich offen positioniert. Ungleichheiten zwischen Geschlechtern (Verdienstmöglichkeiten, Positionen im Job) werden absprechen oder sich um die Belange besorgter Eltern gekümmert, die meinen, die Aufklärung ihrer Kinder über Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität führe zu einer „zu frühen Sexualisierung“. Angst besteht dabei jedoch vor sexueller Vielfalt, sexueller Selbstbestimmung oder der Vermittlung von Lebensformen die nicht der klassischen Mann-Frau Beziehung entsprechen. Im nostalgischen Flair erblühen dabei altbackene Vorstellungen von Kindererziehung, Familie, Ehe und Geschlecht. Vor allem in Zeiten von „Flüchtlingskrise“ und dem wirtschaftlichem „Notstand“ der finanziellen Mittel des Bundeshaushaltes, erscheint das traditionelle Familienmodell vieler deutscher BundesbürgerInnen ein adäquates Mittel zu sein, um sich vor dem „multikulti“ Durcheinander, der Angst vor Überfremdung, sozialem Abstieg oder Armut zu schützen.
Was tun?
Was wäre nun also eine angebrachte Auseinandersetzung mit Gleichstellungspolitik und im allgemeinen Sinne mit Geschlechterverhältnis? Ein erster Schritt wäre es wohl, einen Kongress zu veranstalten, bei dem soziale Realitäten im hier und jetzt nicht ignoriert werden. Aktuell sieht es nun einmal so aus, dass Frauen und LGBTIQ-Personen (lesbian, gay, bisexual, transgender, intersex and questioning) immer noch strukturell benachteiligt und zum Teil auch ausgegrenzt werden. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer. An ihnen bleibt der Hauptteil der Hausarbeit hängen. Trans*personen sind immer noch Opfer öffentlicher Anfeindungen. Homosexualität ist bei kirchlichen Trägern ein Kündigungsgrund. Personen die nicht heterosexuell sind, werden immer noch öffentlich als krank oder abartig bezeichnet. Dies sind nur einige Beispiele. Heterosexuelle, weiße Männer hingegen sind in fast allen denkbaren Bereichen privilegiert. Daher zielt eine moderne Gleichstellungspolitik darauf ab, jene zu fördern, die nicht privilegiert sind. Wer darin eine Diskriminierung von Männern sieht, leugnet die tagtäglich stattfindende Diskriminierung von allen, die nicht männlich und heterosexuell sind. Diese Diskriminierung mag sich oft nicht in juristischer Gestalt vollziehen, informell ist sie trotzdem an der Tagesordnung. Deswegen kann davon ausgegangen werden, dass der Kongress eben nur von Akteuren getragen wird, die gar kein Interesse an einer Gleichstellungspolitik haben, die den Namen verdient, sondern auch unter Prämissen abläuft, die keine sinnvolle Diskussionsgrundlage darstellen. Es macht beispielsweise keinen Sinn, über gendersensible Bildung und Erziehung oder über das geschlechtsspezifische Lohnunterschiede zu diskutieren, wenn die Grundannahmen falsch sind.
Stattdessen wären andere Schritte deutlich sinnvoller. Denn diskussionswürdig ist die Frage, wie eine adäquate Geschlechter- und Gleichstellungspolitik im 21. Jahrhundert aussehen soll auf jeden Fall. Diese Debatte muss aber aufgrund einer fundierten Analyse und Reflexion des Ist-Zustandes basieren. Außerdem darf es nicht Ziel der Debatte sein, hinter die Errungenschaften der bisherigen Emanzipationsbewegungen zurückzufallen, sondern sie muss darauf abzielen, weiter an einer Gesellschaft zu arbeiten, in der alle Geschlechter und sexuellen Identitäten gleichberechtigt leben.
Dazu wäre auch mit der Grundannahme zu brechen, dass es nur zwei Geschlechter – Mann und Frau – gibt. Stattdessen muss betrachtet werden, dass gerade gesellschaftliche Rollenbilder, also genau das was der Begriff Gender meint, etwas gesellschaftliche Geschaffenes und damit auch Veränderbares ist. Es würde bedeuten, dass darüber diskutiert würde, wie Lebensentwürfe abseits der klassischen Ehe juristisch anerkannt werden. Es würde bedeuten, darüber zu reden, wie man verhindern kann, dass Erziehungs- und Hausarbeitstätigkeiten hauptsächlich an Frauen hängen bleiben. Es würde bedeuten, aus der Phrase von Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, konkrete Überlegungen zu machen, wie dies umsetzbar sei. Es würde bedeuten, darüber nachzudenken, welche Rollenbilder durch Medien und Werbung Kindern vermittelt werden. Es würde bedeuten, wie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt Kindern in der Schule vermittelt werden. Und es würde, als letztes Beispiel bedeuten, wie man die Akzeptanz von all jenen in der Gesellschaft erhöhen kann, die eine Trans*- oder Interidentität besitzen, damit das Ausleben der eigenen Identität endlich für alle zur Normalität werden kann.
All das leistet dieser Kongress leider nicht.