Wer gegen Nazis kämpft, kämpft gegen den Staat
Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren gegen die bis heute bedeutendste faschistische Partei in Deutschland, die NPD, mit einer bemerkenswerten Begründung ein: Drei von sieben VerfassungsrichterInnen waren der Meinung, dass es der Partei an „Staatsferne??? fehle. In der Begründung der drei Richter, die damit die zur Fortsetzung des Verfahrens notwendige zwei-Drittel-Mehrheit verhinderten, heißt es, das „Recht der Antragsgegnerin [gemeint ist die NPD – Anm. d. Verf.] auf freie, selbstbestimmte Prozessführung und Selbstdarstellung vor dem Verfassungsgericht, dessen Gewährleistung von Beginn des Verfahrens an sicher sein muss, ist nachhaltig verletzt.??? Was heißt das? Während des Verbotsverfahrens wurde festgestellt, dass die NPD in hohem Maße von V-Leuten, also staatlich bezahlten und auch gesteuerten Spitzeln durchsetzt ist. Bis zu 15 Prozent der Mitglieder in Landes- und Bundesvorständen der NPD sollen damals V-Leute gewesen sein, mit steigender Tendenz. Zwei Verfassungsrichter und eine Verfassungsrichterin konnten deshalb nur feststellen, dass von einer eigenständigen, staatlich unabhängigen Partei nicht die Rede sein konnte. Deshalb könne, so die Meinung der drei RichterInnen, die NPD sich auch nicht „selbstbestimmt??? gegen das Verbotsverfahren verteidigen. Ein Fakt, der gerne von den Nazis aufgenommen wurde. Für NPD-kritische Nazis war nun der Beweis erbracht, dass die von vielen als „weichgespült??? betrachtete Partei tatsächlich erheblich vom Staat gelenkt war. Für NPD-Anhänger und führende Köpfe der Partei stellte das eingestellte Verfahren einen Freibrief für weitere rassistische und faschistische Hetze dar, da ein Parteiverbot aufgrund der staatlichen Steuerung unmöglich wurde. Das Nachsehen haben die Opfer faschistischer Hetze: Sie müssen weiterhin damit leben, dass gegen sie mit rassistischen Parolen Stimmung gemacht wird. Dabei ist die NPD natürlich nur die wichtigste Wahlpartei am rechten Rand. Sie nimmt die rassistischen Stichworte aus der vielbeschworenen Mitte der Gesellschaft auf und spitzt sie zu, wo das noch möglich ist. Offen rassistische Hetze aus dieser Mitte, die dem rassekundlichen Mumpitz der historischen Nazis eins zu eins entspricht, wird auch gerne nur zitiert oder es werden Plakate erstellt wie z.B. „Alle Wissen: Sarrazin hat Recht???. Größere Erfolge hat die NPD in Wahlkämpfen eher selten. Dennoch stellt der Status als Partei eine wichtige Stütze für Nazi-Aktivitäten dar. Weil die NPD eine legale Partei ist, können von ihr angemeldete Aufmärsche nicht so einfach verboten werden, genießen ihre Veranstaltungen besonderen staatlichen Schutz. Nicht zuletzt stellt auch die Parteienfinanzierung, von der die NPD nicht unwesentlich profitiert, eine wesentliche Geldquelle dar. Dass es dabei um viel Geld geht, wurde 2009 besonders deutlich, als die NPD zu einer Strafe von 1,7 Millionen Euro wegen Unregelmäßigkeiten in ihrem Rechenschaftsbericht von 2007 verurteilt wurde.
Frei Kameradschaften – ?Nazibanden ohne Parteistatus
Wo sich die NPD als Wahlpartei meist demokratisch gibt, schreiten andere Nazistrukturen zur Tat. Die „Freien Kameradschaften??? organisieren dort, wo sie frei wüten können, den Terror auf der Straße. Ihre Opfer sind „Ausländer???, „Penner???, „Zecken???. Dort wo ihnen Widerstand entgegenschlägt, jammern sie über „linke Meinungsverbote??? und sehen sich von einer links beeinflußten „Gutmenschenmafia??? verfolgt. Die etwa seit Anfang der 90er Jahre wie Pilze aus dem braunen deutschen Boden gewachsenen „Freien Kameradschaften??? sind aber längst nicht so unabhängig von den Naziparteien, wie sie selbst gerne behaupten. Hier in der Region gibt es ja bekanntlich durchaus enge Verknüpfungen, die besonders daran deutlich werden, dass der NPD-Landesvositzende Ralf Ollert zusammen mit dem Anti-Antifa-Aktivisten Sebastian Schmaus im Nürnberger Stadtrat sitzt. Wo gegenüber der NPD seit dem gescheiterten Verbotsverfahren eine gewisse Vorsicht bei den staatlichen Stellen vorherrscht, wird Freien Kameradschaften rhetorisch schon eher der Kampf angesagt. Dass dies meist reine Rhetorik bleibt, können AntifaschistInnen häufig auf der Straße feststellen, wenn offen nationalsozialistisch auftretende Horden von einem riesigen Polizeiaufgebot geschützt, feixend an ihnen vorüberziehen. Wesentlich problematischer ist jedoch, dass die freien Nazistrukturen nur recht widerwillig von der Polizei verfolgt werden, wenn sie ihre Vorstellungen von Straßenterror in die Tat umsetzen. Das ist besonders interessant, da viele Nazistrukturen, aus deren Umfeld Anschläge verübt werden, oft nahezu strukturgleiche Nachfolgeorganisationen bereits verbotener Zusammenhänge sind, die allein deshalb schon unter verstärkter staatlicher Überwachung stehen müssten. Das „Freie Netz Süd??? (FNS) unterscheidet sich in Franken z.B. kaum von der verbotenen Fränkischen Aktionsfront. Selbst die Führungspersonen sind fast identisch. Das Verbot der Fränkischen Aktionsfront wurde und wird also de facto nicht umgesetzt. Wesentlich härter traf die örtliche Naziszene deshalb auch die antifaschistische Gegenwehr und unermüdliche Skandalisierung der Naziumtriebe, die letztendlich darin mündete, dass die wichtigsten Akteure des FNS vorübergehend in Gefängnissen verweilen mussten. Ohne antifaschistische Aktivitäten hätten sie wahrscheinlich relativ ungehindert von der Polizei weiter schlägern und hetzen können.
Keiner mag Nazis, ?darum wird ihre Existenz geleugnet
Charakteristisch für den Umgang politischer Entscheidungsträger mit Nazistrukturen scheint zu sein, dass diese zunächst geleugnet werden. Kommt es zu Übergriffen, wird meist behauptet, es handle sich um Einzeltäter. Erst wenn AntifaschistInnen öffentlich Nazistrukturen skandalisieren, was meistens zwangsläufig mit Konfrontationen einhergeht, passiert etwas. Meistens dass der polizeiliche Ermittlungseifer sich dann gegen die AntifaschistInnen richtet. Ausschließlich dann, wenn es Antifas trotz Naziterror und Repression gelingt, eine gesellschaftliche Basis für den Kampf gegen Nazis zu finden, wird der Staat gegen Nazis aktiv. Besonders dann, wenn bürgerliche Kräfte das Ansehen ihrer Stadt/ ihres Dorfes gefährdet sehen und die Existenz der Nazis nicht mehr geleugnet werden kann. Es sagt einiges über die „Wehrhaftigkeit??? der „Demokratie??? aus, dass dieser Ablauf sich in nahezu jeder Region oder Stadt der BRD alle paar Jahre wiederholt. Nicht ohne Grund also stellt die Opferperspektive aus Potsdam, deren Ausstellung zu den Todesopfern rechter Gewalt derzeit in Nürnberg gezeigt wird, fest: „Der derzeitige Schock der politisch Verantwortlichen über den Terror des »Nationalsozialistischen Untergrunds« lässt sich nur damit erklären, dass sie die öffentlich zugänglichen Informationen und Analysen der zivilgesellschaftlich Aktiven gegen Rechts und Rassismus – Antifagruppen, Bündnisse und Beratungsprojekte – offenbar komplett ignoriert und stattdessen nur auf die Geheimdienste gehört haben.???
Hinter dem Faschismus steht…
Es ist, aufgrund der bereits zu Anfang des Artikels genannten Faktenlage, jedoch eher naiv anzunehmen, dass die politisch Verantwortlichen keine Kenntnisse über Ausmaß und Größe neonazistischer Strukturen haben. Im Gegenteil legt die nahezu überall erkennbare Verstrickung staatlicher Stellen mit dem Naziterror nahe, dass die politisch Verantwortlichen nur aufgrund öffentlichen Drucks gegen Nazis vorgehen. Diese raren Ereignisse werden einerseits konterkariert von der beständigen Aufbauarbeit, die der Verfassungsschutz im Bereich neonazistischer Strukturen leistet. So wurden ganze Landesverbände rechter Parteien und zahlreiche neonazistische Gruppen unter Anleitung von Verfassungschützern aufgebaut. Manche Nazis erhielten als V-Leute über 100.000 Euro für ihre Spitzeldienste, die ihnen frei zur Finanzierung ihrer Aufbauarbeiten zur Verfügung standen.
Andererseits tut sich der Staat mit dem gleichzeitigen Verfolgen kleinster Verstöße linker, antifaschistischer Strukturen hervor. Während Nazis aus Nürnberg und Fürth unbehelligt in Tarnmontur zum Wehrsport nach Thüringen fahren, werden SchülerInnendemonstrationen gegen das marode Bildungssystem in Bayern von Spezialkommandos zu Hunderten überwacht, durchsucht und bedrängt. Während Nazis Kriegswaffen horten, wird ein Anmelder der Nürnberger Montagsdemonstration zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeladen, weil er sich angeblich geweigert hat DemonstrantInnen dazu aufzufordern, auf dem Gehsteig zu laufen.
Faschistische Gruppen hatten schon immer ein taktisches Verhältnis zum Staat. Und der Staat schon immer ein taktisches zu ihnen. Zahlreiche ehemalige V-Männer, die zum Teil hohe Ämter in der NPD oder anderen Naziparteien inne hatten, behaupten, sie hätten ihre Tätigkeit für den Verfassungsschutz zum Aufbau der Nazi-Bewegung genutzt. Obwohl das Spitzeln natürlich offiziell nicht gerne bei den Kameraden gesehen ist, zeigen die vielen V-Mann Skandale der letzten Jahre, die sicherlich nur die Spitze des Eisberges darstellen, welche Bedeutung die V-Leute in der Naziszene haben. Für den Staat auf der anderen Seite stellen Nazistrukturen sehr wohl eine beliebte Waffe gegen Linke dar. Sei es, um im Fall der Fälle als moderne Freikorps eingesetzt zu werden oder ganz profan um gegen Linke vorgehen zu können. Zur Durchsetzung der rassistischen Migrationspolitik wurden faschistische Strukturen schon erfolgreich eingesetzt. Ihr Einsatz als Waffe gegen Linke erfolgt derzeit noch nicht im großen Stil. Allerdings sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass es so bleibt. Ziel antifaschistischer Politik muss es sein, Nazistrukturen zu zerschlagen, denn sie sind für alle, die im faschistischen Weltbild keinen Platz haben, eine konstante Bedrohung. Doch solange es kapitalistische Staaten gibt, werden diese Staaten Wege finden, ihre Faschisten gerade so zu pflegen und zu nähren, dass sie als Krisenoption erhalten bleiben. Denn die faschistischen Bluthunde sind einfach viel zu nützlich, als dass die Herrschenden auf sie verzichten könnten.
Aus: barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Dezember 2011