Charakterisierung des Faschismus als Herrschaftsoption kapitalistischer Gesellschaften

Die_Stunde_NullDer historische Faschismus der 20er bis 40er Jahre fällt in ein Stadium der Moderne, in dem der Kapitalismus einen Modernisierungs- und Durchsetzungsschub erhielt. Modernisierung ist hier nicht im Sinne der Geschichtsrevisionisten zu verstehen, denen es im Wesentlichen auf eine Relativierung und Aufwertung des Faschismus ankommt. Vielmehr geht es um eine Einordnung des Faschismus in Geschichte, Struktur und Strategie der kapitalistischen und imperialistischen Durchsetzungsgeschichte. Die Weiterentwicklungen im Interesse kapitalistischer Verwertungsinteressen lassen sich ohne den geschichtlichen Kontext der kapitalistischen Produktionsverhältnisse genauso wenig verstehen wie die Kontinuitäten nach der Zerschlagung des historischen Faschismus.
In Deutschland wurde der Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre notwendig zur Rettung und weiteren Durchsetzung des Kapitalverhältnisses, als der Kapitalismus weltweit in eine Krise geriet und zudem noch durch die sozialistische Revolution bedroht schien.
Die NSDAP, die zwar kleinbürgerlich geprägt war, aber unter der deutschen Gesamtbevölkerung eine Massenbasis entwickelte, geriet zur Vorläuferin der heutigen „Volksparteien“. 1933, nach der Übergabe der Macht an die Nazis, unterstützten alle Fraktionen es Kapitals den Nationalsozialismus. Durch seine Biologisierung der sozialen Verhältnisse schuf er das Konstrukt der „Volksgemeinschaft“. Innerhalb dieser Scheinkollektivität wurden die deutschen Individuum nach dem Leistungs- und Konkurrenzprinzip gleichgeschaltet und  wurden auf die Produktion für das ideelle Gesamtinteresse Nationalökonomie ausgerichtet. Die eigentlich gesellschaftlich konstituierten Wertsetzungen, Hierarchien und Konkurrenzen wurden nun abgeleitet aus Rasse, Nation und Geschlecht. Die letzten feudal-klerikalen Strukturrelikte aus wilhelminischen Zeiten wurden von der industriellen Massenfertigung, der Normierung und Typisierung in der Produktion und der Durchsetzung neuer Technologien und Fertigungsmethoden hinweggefegt. Die Arbeiterbewegung wurde zerschlagen, KommunistInnen, SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen verhaftet und zum Teil ermordet, die Erfolge der Frauenbewegung zunichte gemacht. Bürokratische Verwaltung, totale Registrierung, staatliche Geburten-, Bevölkerungs- und Städteplanung und das Befriedungssystem der staatlichen Sozialleistungen für Deutsche hielten Einzug, die ersten Strukturen des Massenkonsums wurden gelegt (Ausbreitung der Massenkommunikationsmittel, z.B. „Volks“empfänger, Herausbildung der Automobilindustrie als Schlüsselindustrie mit Autobahnbau und „Volks“wagen). Die formale Trennung von politischen-parlamentarischer Verwaltung und Kapital wurde beseitigt, der historische Pakt mit dem Staat als unmittelbaren Exekutor kapitalistischer Verwertungsinteressen vollzogen.
Judenhass und antijüdische Pogrome, die in ihrer langen Geschichte vor allem die Funktion der Konstruktion eines homogenen christlich deutschen Volkes hatten, das sich in Abgrenzung zum Judentum legitimiert und gesellschaftliche und persönliche Widersprüche in „die Juden“ projiziert, um die durch Ghettoisierung und Pogrome zu vernichten, bekamen mit Beginn der Moderne und dem Aufkommen des Nationalsozialismus einen völlig neuen Charakter. Der Doppelcharakter der Ware und der Arbeit wurden biologistisch aufgespalten: die Überhöhung der „wertschaffenden, konkreten, ehrlichen deutschen Arbeit“ wurde ausgespielt gegen die „raffende, unwerte, abstrakte Zinstreiberrei der Juden“. Die als Bedrohung empfundenen Entwicklungen der Moderne – Verwissenschaftlichung, Verstädterung, Abstraktion u.ä. – wurden im „Juden“ personifiziert, die Vernichtung dieser Erscheinung mit der physischen Vernichtung der angeblichen Verantwortlichen gleichgesetzt.

Der Nationalsozialismus setzte sich durch mit äußerem Zwang, Vernichtung und totaler Konsequenz. Doch wie bei jedem Modernisierungsschub wurde nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus der äußere Zwang überflüssig, weil die Strukturen bereits gesellschaftlich verinnerlicht waren. Faschismus und Kapitalismus sind keine Alternativen, sonder Faschismus ist nur eine besondere Erscheinungsform des Kapitalismus. Sie diskreditieren sich durch ihre gemeinsamen bürgerlich-kapitalistischen Basisformen gegenseitig. Die BRD ist somit legitime Erbin des Nationalsozialismus. Sie übernahm in ihrer „Stunde Null“ die Erbmasse und baut strukturell und ideologisch auf diesem Erbe auf.
Dabei sind die zahlreichen personellen Kontinuitäten nur die besonders aus gefällige Bestätigung der eigentlichen Kontinuität in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Das Wesen und die Struktur der kapitalistischen Ökonomie wurden ebenso übernommen und weiterentwickelt wie die Formen ihrer Verwaltung und Absicherung.
Die kapitalistische Eigentumsordnung, die Basisformen Warenproduktion und Mehrwertschöpfung, der „freie Markt“ und die betriebswirtschaftliche Vernutzungslogik wurden wie im Nationalsozialismus die Grundbausteine für das Fundament der BRD. Die Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung während der Zeit des Nationalsozialismus wurden auf die veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit angewandt. Der zivile Nutzen der BRD aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus wurde und wird besonders in den Bereichen Städtebau, Bevölkerungspolitik, Geburtenplanung, Innere Sicherheit, Medizin, Raumfahrt, Sozialpolitik und soziale Befriedung deutlich.

Der Umgang mit ihrem Erbe fällt der BRD nicht leicht. Sie versucht, jede Parallele zum Nationalsozialismus zu leugnen (Bruch, Stunde Null, Neuanfang), aber auch jede Alternative zum bürgerlich-kapitalistischen System. So versuchte sie sich einerseits vom Nationalsozialismus zu distanzieren, beruft sich aber indirekt auf ihn wenn sie behauptet, dass es zur bürgerlichen Demokratie und freien Marktwirtschaft keine Alternativen gibt. Es gelingt ihr diese logische Unmöglichkeit, indem sie die Methode anwendet, die charakteristisch ist für bürgerliche Ideologie wie für Orientierung der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt: Die Form wird verobjektiviert und zum Selbstzweck gemacht, der konkrete Inhalt wird dabei unwichtig oder raus gekürzt. So geschieht dies in der Ideologie des Totalitarismus, die es für den bürgerlichen Staat möglich macht, sich sowohl vom Nationalsozialismus als auch seinen linken Gegnern zu distanzieren. Beide werden über die angeblich ähnlichen Formen als Ganzes gleichgesetzt, die eigene inhaltliche Verwandtschaft fällt bei diesem Vergleich der Formen raus. Durch die Beliebigkeit, die entsteht, wenn dem betrachteten Gegenstand die inhaltliche Substanz entzogen wird, können nun sogar Faschismus und Kommunismus gegenseitig für ihre Existenz verantwortlich gemacht werden. Das propagierte Bild von der bürgerlichen Mitte als unbeteiligtem Beobachter, der nur kopfschüttelnd daneben steht, wenn die Extreme sich gegenseitig hochschaukeln, ist bekannt.
Das Verhältnis der BRD zum Nationalsozialismus und Widerstand könnte jedoch nicht treffender ausgedrückt werden als durch die BRD selber: sie beruft sich auf die „Männer des 20. Juli“. Deren Handeln war nicht durch die Ablehnung des Nationalsozialismus motiviert, sondern durch die Konsequenzen seines Scheiterns.